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Wölfe


Den Wölfen im Oltrepo Pavese
(nördlicher Apennin) auf der Spur

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Wolfsrisse erkennen
Von Sabine Middelhaufe

Ob ein Wildtier von Wölfen gerissen, von ihnen lediglich tot aufgefunden und gefressen wurde, oder ob der Wolf mit einem teilweise verzehrten Wildtier rein gar nichts zu tun hat, ist für uns Laien nur unter bestimmten Voraussetzungen erkennbar.
Beginnen wir mit der einfachsten Möglichkeit: Wölfe werden beim Reißen und Fressen direkt beobachtet, wie im folgenden Fall von Anfang Januar 2020 teilweise dokumentiert. (Mir ist durchaus bewusst, dass die Bilder in diesem Beitrag anzuschauen nicht sehr angenehm ist. Aber freilebende Wölfe bescheren uns eben nicht nur niedliche Welpenfotos, sondern auch Aufnahmen vom Schicksal ihrer Beutetiere.)
In einem auf rund 1200 Meter Höhe einsam gelegenen Haus in den Bergen hörte der Bewohner nachts nahebei das Heulen von drei oder vier Wölfen. Am nächsten Morgen, so gegen 9 Uhr, beobachtete er, wie drei Wölfe eine Ricke überwältigten, vom Rand der kleinen Landstraße auf die daneben verlaufende Heuwiese zerrten und zu zerreißen begannen. Als er sich dem Tatort im Auto näherte, zogen sich die Wölfe zwar zurück, kehrten aber laut Aussage eines anderen Augenzeugen rasch zu ihrer Beute zurück, nachdem der Wagen sich entfernt hatte.

Ich konnte erst sieben Stunden später zum Ort des Geschehens kommen. Vom Reh war noch der vordere Teil vorhanden, (wahrscheinlich wurden die Wölfe von anderen Autofahrern beim Fressen gestört) der Brustraum allerdings leer, im Kehlbereich sämtliches Fell weggerissen, der Kopf bis auf die Knochen von Fleisch und Haut befreit, ein abgerissenes, nicht abgebissenes Ohr nahebei.

Der so sorgsam und sauber abgefressene Kopf ist nicht typisch für einen Wolfsriss und könnte auf das Konto anderer Carnivoren gehen, etwa Füchse, Krähen und Greifvögel.

Vom erbeuteten Reh ist nur noch der vordere Teil vorhanden,

der Brustraum geleert,

der Kehlbereich von allem Haar befreit, der Kopf bis auf die Knochen von Fleisch und Haut sauber abgefressen,

ein abgerissenes Ohr liegt nahebei.

Die zum Teil blutige Schleifspur vom Straßenrand in die Wiese war deutlich zu erkennen, anfangs begleitet von ausgerissenen Rehhaaren, im weiteren Verlauf dann auch von kleinen Knochenstücken. Etwa 10 Meter vom Fundort des Kadavers entfernt lagen Magen und Därme des Beutetiers, denn entgegen anderslautenden Gerüchten fressen Wölfe diese nicht.
Ob die frische Wolfslosung nahe der Rissstelle vor oder nach Erlegung des Rehs abgesetzt wurde, ließ sich leider nicht mehr klären, es wäre aber nicht ungewöhnlich, wenn der Kot gezielt zur Markierung der Futterstelle hinterlassen worden wäre. 

Die teils blutige Schleifspur vom Straßenrand in die Wiese,

anfangs begleitet von ausgerissenen Rehhaaren,

dann auch von kleinen Knochenstücken.

Etwa 10 Meter vom Fundort des Kadavers entfernt liegen Magen und Därme des Rehs.

Wo sie erfahrungsgemäß nicht nennenswert gestört werden, jagen Wölfe ohne weiteres auch tagsüber. In unserem abgelegenen kleinen Bergdorf  auf 868 Meter Höhe jagten und erlegten zwei Wölfe Anfang April am hellichten Tag am Dorfrand eine Ricke; abends waren nur noch das Rückgrat mit Kopf und Hinterläufen sowie Magen und Darm der Beute übrig.
Wie die nachmittägliche Verfolgung einer Sau durch drei Wölfe längs der Grundstücksbegrenzung des weiter oben genannten Hauses ausging ist zwar nicht bekannt, aber die Präsenz der Bewohner und geparkten Autos an der Landstraße hinderten die Beutegreifer jedenfalls nicht an der Jagd.

  Sofern man über eine passable akustische Orientierung im Raum verfügt, kann man nächtlichen Jagdgeräuschen dann beim ersten Tageslicht auf den Grund gehen. Wobei „Jagdgeräusche“ hier die zum Teil minutenlang anhaltenden Todesschreie größerer Beutetiere wie Rehe sind.
Zwischen Mitte Januar und Ende März 2020 ergab sich das bei uns mindestens drei Mal: auf einem Feldweg 20 Meter hinter meinem Haus, auf der Heuwiese direkt vor dem Haus und schließlich in einer angrenzenden Wiese in etwa 250 Meter Entfernung.
Ist der Tatort gefunden, kann man mit Geduld und etwas Geschick auch den Tathergang teilweise rekonstruieren.

Rekonstruktion des Rissvorgangs.

Das Reh ist, einem Wildwechsel folgend, von der Heuwiese zur unterhalb liegenden Straße geflohen und wird spätestens dort angegriffen, denn am jenseitigen  Straßenrand finden sich die ersten Blutflecken (in der Straßenmitte übrigens frische Wolfslosung).

Aufgeworfenes Laub und Erde auf halbem Wege die Böschung hinunter legen nahe, dass das Reh von seinen Angreifern hier massiv bedrängt oder bereits von ihnen den Hang herunter gezerrt wird.



Wo die Böschung endet und die Heuwiese beginnt, sind die vorjährigen Grashalme für viele Meter  nur an den Spitzen, auf einer Höhe von ca. 60-70 cm mit Blut bedeckt, mögliches Indiz dafür, dass die Beute hier noch oder wieder auf den Läufen war, jedoch schon stark blutete.
Die so enstandene Spur führt zu einer Stelle, wo die Vegetation von einem schweren Objekt nachhaltig zu Boden gedrückt wurde; Rehhaarbüschel und Blutlachen lassen vermuten, dass das Reh nun entweder zusammengebrochen ist oder niedergezwungen wird.



Mit diversen Richtungswechseln wird sein Körper quer über die Wiese gezogen und es entsteht eine 30-40 cm breite Blutspur direkt am Boden. Sie läuft bis etwa zum Zentrum der Wiese, wo viele Rehhaarbüschel und der herausgerissene Darm darauf hinweisen, dass spätestens hier das Fressen und die Verteilung der Beute beginnt.



Tatsächlich führen von diesem Punkt mehrere kurze Spuren weg, die darauf hindeuten könnten, dass einzelne Wölfe sich mit ihrem Beuteanteil etwas abseits dem Verzehr widmen. Dafür sprechen auch die an diesen Stellen gefundenen Knochen- und kleinen Fleischstücke.



Vom Reh selbst bleiben ansonsten keinerlei Reste zurück. Wer der gesunden, kopfstarken Fuchspopulation in der Morgendämmerung dabei geholfen hat, aufzuräumen, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei nachweisen. Sicher ist nur, dass mindestens zwei Wölfe ihre frischen Fährten auf dem feuchten Acker neben der Heuwiese hinterlassen. Wohin genau sie von dort gehen, und ob die zahlenmäßig nicht bestimmbaren Spuren am Eingang zur benachbarten Wiese ihnen oder ihren Rudelgenossen gehören, bleibt ebenfalls ungeklärt.
   Obwohl es keine Augenzeugen für den Riss gibt und keinen Kadaver, an dem man die Bissverletzungen untersuchen könnte, machen es die Losung auf der Straße, die eindeutigen Wolfsspuren, das Ziehen der Beute über mehr als 30 Meter und in verschiedene Richtungen und auch der entfernte Darmtrakt der Beute doch höchst wahrscheinlich, dass hier Wölfe erfolgreich gejagt haben, zumal den Schreien des Rehs am Straßenrand kein Auto- oder Bremsgeräusch vorausging, was ein von den Wölfen nur zufällig gefundenes und im Anschluss gefressenes Unfallopfer eigentlich ausschließt.

Wenn man zuvor weder etwas sieht noch hört, sondern ganz unerwartet auf einen Tatort stolpert, wird die Geschichte natürlich schwieriger. Alles hängt davon ab, was man überhaupt noch vorfindet. Ist das tote Tier noch weitgehend vorhanden, sagen Verletzungen und/oder Fraßspuren schon eine Menge aus.
Das Reh auf den folgenden Bildern zeigt keine Bissverletzungen im Hals-Kehlbereich und keine Öffnung der Bauchdecke. Das schließt den Wolf als Jäger aus. Die genauere Betrachtung des Körpers ergab in der Tat, dass die Ricke erschossen und nicht nachgesucht wurde. Die anschließend entstandenen Fraßspuren sind typisch für Fuchs, Dachs, Greifvögel und Krähen.

Dieser Bock (unten), der gerade dabei war, sein Winterfell gegen das rote Sommerkleid zu wechseln, zeigt bis auf ein paar oberflächliche Schnitt- oder Risswunden auf der linken Körperseite überhaupt keine äußeren Verletzungen; er wurde nicht erschossen, erstochen, von einer Fangschlinge erwürgt und erst recht nicht von einem Wolf gerissen. Der Boden um den Fundort ist vollkommen ungestört, was es einigermaßen sicher erscheinen lässt, dass bei seinem Tod niemand präsent war. Todesursache: unbekannt.

Übrigens, ob Kadaverreste oder ganze Körper, man sollte sie, wenn überhaupt, nur mit Einweghandschuhen berühren und ruhig eine Gesichtsmaske tragen; wer sich auch mit Wolfslosung beschäftigt, hat so etwas ohnehin immer im Rucksack dabei.
Ja, das hier unten sind die Überbleibsel von Rehen, die der Wolf mitunter so zurücklässt. Ob er die Beute allerdings selbst gerissen hat und wer sich unterdessen noch daran gütlich getan hat, kann man an den Knochen allein leider nicht mehr ablesen.

Damit ein Riss offiziell dem Wolf zugeordnet werden kann, muss seine erfolgreiche Jagd entweder durch eindeutige Video- oder Bilddokumentation belegt oder durch einen DNA Test nachgewiesen werden. Letzteres wird bei uns dadurch erschwert, dass es schlicht nicht genügend autorisiertes Personal gibt, dieses überdies in der Provinzhauptstadt Pavia stationiert ist, was ein promptes Erscheinen am Tatort irgendwo im Apennin praktisch unmöglich macht, Gentests relativ teuer sind und der Universität Pavia deshalb pro Jahr nur eine geringe Anzahl von Proben finanziert wird und schließlich seitens der Bevölkerung kein Interesse besteht, Rissfunde zu melden, es sei denn, es handelt sich um Haustiere oder Weidevieh und der Besitzer hofft auf Schadensersatz.
    Wildtierrisse in einem Wolfsrevier zu suchen und zu dokumentieren ist trotzdem wichtig, weil dadurch mögliche Muster erkennbar werden: ist die Jagd in bestimmten Teilen ihres Territoriums von der Jahreszeit abhängig, vielleicht auch von der (menschlichen) Jagdsaison Ende September bis Ende Dezember? Kehren Wölfe in begrenzte Zonen, die ihnen oft Jagderfolg bescheren, zurück und wenn ja, in welchem Zeitabständen? Wird die jagdliche Nutzung des Reviers durch die Geburt und Aufzucht der Welpen deutlich beeinflusst, d.h. versucht das Rudel, in einem gewissen Radius um die Wurfhöhle bzw. die Rendezvous Zone Beute zu machen? Spielen während der Welpenaufzucht junge Wildtiere (Frischling, Kitz, Junghase, Fuchswelpe) aber auch Kleintiere (Siebenschläfer, Haselmaus, Feldmaus) eine erkennbare ernährungstechnische Rolle?
    Um lediglich festzustellen, wie sich die Ernährung der Wölfe zusammensetzt, gibt es freilich eine ganz einfache Methode: das Sammeln von Losung, auch auf dem Welpenspielplatz, wo die Jungen zwangsläufig viele Male täglich ihre Geschäfte verrichten.
Die Kotproben werden für mindestens vier Wochen tiefgefroren, dann mit fliessendem Wasser gereinigt, gesiebt und die unverdauten Futterreste kategorisiert in Knochen, Knorpel, Haare, Samen und Pflanzenreste. Insbesondere die (vorher mit Alkohol entfetteten) Haare geben bei der mikroskopischen Untersuchung Aufschluss über die zugehörige Spezies und, im Falle des Schalenwilds, die Altersklasse des verzehrten Tieres.

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Text und Fotos (c) Sabine Middelhaufe, August 2020

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