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Wölfe

Den Wölfen im Oltrepo Pavese
(nördlicher Apennin) auf der Spur


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Wie 2014 alles begann
Von Sabine Middelhaufe

Ende 1976 wurde der Wolf in Italien landesweit ganzjährig unter absoluten Schutz gestellt. Bis dahin hatte jedermann einen Wolf erschießen, mit Fallen fangen oder vergiften dürfen, und die gesetzliche Freiheit wurde auch genutzt.
Zu dieser Zeit waren Wolfsvorkommen freilich auf einige Zonen in Mittel- und Süditalien beschränkt. Die nördlichsten und möglicherweise nur Einzelsichtungen betrafen ein Gebiet westlich von Siena, vermutlich die Riserva Naturale di Monterufoli,  und nordwestlich von Orvieto, vermutlich die Riserva Naturale del Pigelleto.
In ihrer, damals vom World Wildlife Fund in Auftrag gegebenen und in Italien durchgeführten praktische Forschungsstudie, schätzten die beiden Biologen Erik Zimen und Luigi Boitani die Zahl der im Lande ansässigen Wölfe auf 100 Tiere, die von ihnen besiedelte Fläche auf rund 8.600 Quadratkilometer und damit 3% des nationalen Territoriums.
Zum Vergleich: in Spanien lebten 1973 auf 8% des Territoriums Wölfe, in Portugal auf 17% und auf dem griechischen Festland gar auf 70%. Ein Schätzwert für die Gesamtpopulation lag für Griechenland damals zwar nicht vor, aber es gab ca. 700 Wolfsabschüsse pro Jahr.
    In Italien galt der Wolf in den 1970er Jahren jedenfalls als bedroht und wurde entsprechend unter Schutz gestellt. Man musste allerdings in die Abruzzen fahren und dort in die richtigen Dörfer, um – vielleicht und mit sehr viel Glück – einmal einen Wolf zu Gesicht zu bekommen.

    Zum Winter 2011 zog ich in die Nähe eines Passes, auf fast 1200 m Höhe und direkt auf der Grenze zwischen den beiden norditalienischen Regionen Lombardei und Emilia-Romagna gelegen. Das Gebiet ist gleichzeitig der Nordzipfel der Apenninen, nur zwei gute Autostunden von Mailand entfernt oder auch von Genua, wenn man lieber die Mittelmeer-Connection sieht.
Als die Fahrer der Schneeräumfahrzeuge erzählten, sie hätten auf der Straße Wolfsspuren gesehen, dachte ich nur: „Klar, Wölfe! Oder nicht doch eher ein streunender Schäferhund...?“
Im darauffolgenden Herbst begegnete ich einem Jäger, der ganz aufgeregt berichtete, gerade eben sei ein Wolf an seinem Anstand vorbeigekommen, ehrlich!
„Bestimmt,“ dachte ich, „und morgen sind's Bären und übermorgen ein Spinosaurus!“
    Italiener sind fantasievolle Menschen mit einem natürlichen Hang zum Dramatischen; ob tatsächlich je eine der angeblichen Sichtungen von Wolfsspuren oder gar leibhaftigen Wölfen korrekt war, werde ich nie zweifelsfrei klären können. Aber dass es bei uns inzwischen Wölfe gab, erfuhr ich im Hochsommer 2014 kurz vor Mittag, als nämlich plötzlich einer vor mir stand.
Immerhin war meine (wahrscheinlich typisch deutsche) Skepsis so groß, dass ich das rötlich-braune Paar Ohren in der Heuwiese zunächst einem Fuchs zuordnete und die kleine Handycam darauf richtete. Merkwürdig erschien mir nur das Verhalten meines Hundes, der etwa 20 m rechts neben mir verharrte und ebenfalls gebannt auf die Ohren schaute. Obwohl ein Bracco Italiano, liebte er es, Füchse zu verfolgen. Vielleicht hatte er endlich begriffen, dass er das ohne mein Ja-Wort nicht durfte?
Der Besitzer der rotbraunen Ohren gab mit ein paar Schritten im hohen Gras mehr Fell preis und ich, Augen gebannt auf das winzige Display geheftet, versuchte nur verzweifelt, das Video nicht zu verwackeln. Zugegeben, der Pelz war ein bisschen sehr grau, aber vielleicht lag es auch nur daran, dass ich mit dem Sonnenlicht auf dem Display nicht viel sah. Ich schwenkte zurück zu meinem Hund, der wunderbarerweise noch immer hoch aufgerichtet dastand und keine Anstalten machte, den zu großen, zu grauen Fuchs zu verfolgen, der schließlich sein Heil in der Flucht suchte.
Erst zuhause, als ich den kurzen Film auf dem Computer Monitor sah, wurde mir klar, dass ich einen Wolf gefilmt hatte. Oder eine junge Wölfin, um genau zu sein. Ich sah auch erst auf dem großen Bildschirm, wie die Wölfin meinen Hund fixiert hatte. Abwägend? Skeptisch? Mir gönnte sie kaum einen Blick. Was sie faszinierte, war der große Hund, der vollkommen still dastand und sie ebenfalls fixierte.

(Alle Fotos in diesem Artikel sind screenshots von Videos und deshalb von sehr mäßiger Qualtät.)

Natürlich verbrachte ich die folgenden Monate damit, Wolfsspuren und Wolfslosung zu suchen und lernte (auf Kosten der immer vollen Speicherkarte), dass es eigentlich unmöglich ist, ein einzelnes Trittsiegel zweifelsfrei zuzuordnen.
Nehmen wir meinen Bracco: von der Größe her entsprachen seine Pfotenabdrücke durchaus denen eines erwachsenen Wolfs, nur waren sie insgesamt runder. Also fotografierte ich begeistert nur noch die länglicheren Trittsiegel. Bis ich irgendwann dahinterkam, dass die Hinterpfoten des Bracco auch länglich waren und ich viele Megabyte nutzloser Bilder gespeichert hatte...


Oben ein Trittsiegel der Vorderpfote, unten der Hinterpfote des Bracco.
Man sieht ganz deutlich, dass die Hinterpfote einen schmaleren und länglicheren Abdruck hinterlässt.

Oben Abdruck des Bracco, unten Trittsiegel der Wölfin, das sie freundlicherweise hinterlassen hatte.

Anfang Dezember 2015 signalisierte mein Hund den Fund eines toten Rehbocks in einem Heckenstreifen zwischen zwei Heuwiesen und da es schon fast dunkel war, hatte keiner der örtlichen Jäger mehr Lust, hinauszukommen, um das Tier abzuholen. Der Körper war noch  ein bisschen warm, zeigte eine Schußverletzung im linken Brustbereich und war vermutlich kurz zuvor von einem Jäger erlegt worden, der versäumt hatte zu bedenken, dass im Dezember auch junge Böcke kurzfristig ohne Geweih sind, da sie es ja gerade eben erst abgeworfen haben. Der Abschuss von Ricken war noch erlaubt, der von Böcken nicht mehr und so hatte der Schütze wohl beschlossen, seine Beute liegen zu lassen und zu verschwinden.
Das Tageslicht reichte gerade noch, um das Reh und etliche Spuren zu filmen, aber ich war zuversichtlich, früh am nächsten Morgen noch mehr brauchbares Filmmaterial sammeln zu können.
Die Hoffnung bestätigte sich zwar, jedoch ganz anders als erwartet.
Schon als wir uns dem Tatort näherten, wurde mein Hund zunehmend unruhig und sträubte das Rückenhaar, bis er schließlich aufgebracht voraus stürmte. Nicht zum Fundort des Bocks, sondern zu einer Stelle vielleicht 10 m entfernt auf der Heuwiese. Dort begann er zu schnüffeln, sehr aufgeregt Spuren zu verfolgen, und als ich anlagte, war mir sofort klar, warum: das tote Reh war aus der Hecke auf die Wiese gezogen worden und viele Blutspuren und Rehhaare legten nahe, dass hier das große Fressen begann. Blutige Schleifspuren zu einer Stelle rund 20 m unterhalb ließen vermuten, dass eines oder mehrere Tiere einen Teil der Beute dorthin geschafft und weitergefressen hatten, denn hier lagen außer Rehhaaren auch Hautfetzen und Knochenstücke. Ich fand noch einen dritten Platz, wiederum unterhalb des zweiten, wo die Reste des Rehbocks zurückgelassen worden waren: die Knochen beider Hinterläufe und ein Stück der Wirbelsäule.
Weder am gestrigen Fundort des Bocks noch auf der Wiese gab es Spuren von Wildschweinen; auch zwei Füchse oder streunende Hunde können innerhalb weniger Stunden kein ganzes Reh verspeisen, aber vor allem führten viele große Trittsiegel vom Fraßplatz in den angrenzenden Wald.
Später zeigte ich Dr. Federico Morimando, einem der Wolsforscher der Universität Siena die Videodokumentation und er urteilte, dass es sich bei den Fressenden mit größter Wahrscheinlichkeit um mehrere Wölfe gehandelt hatte.

Der geschossene Rehbock am Abend.

Die Reste am nächsten Morgen.

Das zweite Mal sahen wir Wölfe in persona erst wieder Mitte Februar 2018. Und wieder um die Mittagszeit, also nicht unbedingt die Stunde, in der man so etwas erwartet.
Mein Bracco blieb an einer Wiesenböschung plötzlich wie angewurzelt stehen und witterte angespannt in Richtung des gegenüber und unterhalb liegenden Wiesenrands. Und tatsächlich, da standen sie, vielleicht fünfzig Meter von uns entfernt.
Ein fast schwarzes Tier floh beinahe sofort in die dichten Wacholderbüsche, als ich am Horizont auftauchte. Das graubraune witterte zunächst ausgiebig in unsere Richtung, entschied sich dann aber auch zur Flucht. Nur der Dritte im Bunde, ebenfalls schwarz, blieb vollkommen ruhig stehen und beäugte (wahrscheinlicher: witterte) uns. Ich schaffte es sogar, die Handycam herauszunehmen, anzustellen, auf den Wolf zu richten und dann sah ich im Display: "Batterie leer." Natürlich....!
Auch der zweite schwarze Wolf sprang schließlich ins Dickicht und wir gingen zum Ort ihres vorherigen Verweilens. Es lag noch etwas Schnee und man konnte gut erkennen, dass die Tiere sich vor unserem Erscheinen in einem engen Kreis umeinander bewegt hatten.
Die beiden Schwarzen ließen verständlicherweise sofort alle Alarmglocken bei mir schrillen. Natürlich gibt es auch in der Natur schwarze Wölfe. Aber in Italien ist es immer noch Usus, jedenfalls auf dem Lande, Hunde streunen zu lassen. Ob da vielleicht ein autonomer Schäferhundrüde einen one-night-stand mit einer rudellosen läufigen Wölfin gehabt hatte?
In einer 2012 veröffentlichten Studie über die Hybridisierung von Wölfen in den nördlichen Apenninen, mein Wohnort also inbegriffen, waren 51 der insgesamt 116 genotypisch und phänotypisch als Hybriden identifizierten Wolfsmischlinge schwarz.
Immerhin bescherten mir die Drei die Gelegenheit, endlich einmal Trittsiegel und Fährten zu filmen und zu fotografieren.

Kaum eine Woche später entdeckten wir, vielleicht 400 m vom Sichtungsort des Trios entfernt, im unberührten Neuschnee eine Fährte und folgten ihr für fast einen Kilometer. Sie lief immer den Waldweg entlang, immer geschnürt wie ein Fuchs, nur mit erheblich größeren Trittsiegeln, bis sie im Buschwerk verschwand. Zwei Tage darauf, eine weitere, neue Fährte. Und auch dort, wo wir das Trio überrascht hatten gab es nun eine...

Mitte März war der Schnee weitgehend geschmolzen und wir wanderten am Spätnachmittag wie üblich durch die Heuwiesen, genau dort, wo wir 4 Jahre zuvor jene erste  Wölfin getroffen hatten, als der Bracco plötzlich unterhalb eines Haselnussstrauches an einer Böschung stehen blieb. Er hatte das Fell auf dem Rücken schon leicht gesträubt und fixierte das Gebüsch. Wildschweine! dachte ich, denn sein ganzes Gebaren sagte eindeutig: da ist was Suspektes! Ich ging leise auf ihn zu und da er das aus dem Augenwinkel natürlich mitbekam, stakste er steif und hoch aufgerichtet näher auf den Busch zu, hielt an, um zu wittern, begann sich dann im Bogen seitlich auf den Busch zuzubewegen, vermutlich um den Geruchsfaden nicht zu verlieren und machte urplötzlich einen Satz. Das war wohl der Moment, als die beiden Wölfe ihrerseits vom Haselnussbusch weg sprangen, denn als ich die kleine Böschung erklommen hatte, standen sie bereits mit geklemmten Ruten abwartend und uns fixierend gute 20 m entfernt am Waldrand. Als der Zoom den einen Wolf endlich erfasste, beschloss er leider, in den Wald zu flüchten. Der andere aber blieb bewegungslos stehen und beobachtete uns. Obwohl ich den Eindruck hatte, dass seine Aufmerksamkeit in erster Linie dem Hund galt. Als schließlich auch der zweite Wolf entschied, das Feld zu räumen und sich bewegte, tauchte prompt sein Kumpel wieder auf, was mich vermuten lässt, dass der nur wenige Schritte in den Wald gelaufen war und uns von dort observiert hatte. Jedenfalls verschwanden die Wölfe im Wald und wir entfernten uns in die entgegengesetzte Richtung.
Entsprechend erstaunt war ich, als der Bracco plötzlich wieder die Haare sträubte, die Nase erdwärts wandte und sehr aufgeregt einer Geruchsspur folgte. Ein paar hundert Meter weiter fand ich in einem zufällig erhaltenen Schneefleck zwischen den Wacholderbüschen das frische Trittsiegel eines Wolfes. Angesichts des Terrains ist durchaus denkbar, dass die beiden einfach im Bogen um uns herum gelaufen waren und dann die selbe Richtung eingeschlagen hatten, die wir nun nahmen und die – zufällig? - direkt zu der Wiese führte, wo wir sechs Wochen vorher das Trio gesehen hatten und wo neulich etliche Wolfsfährten den Hügel hinauf führten.
Ob es sich bei dem ängstlicheren Tier um eine Fähe handelte, ließ sich leider nicht erkennen, doch das zweite Individuum war definitiv ein Rüde, beide Wölfe waren erwachsen und Anfang/Mitte März ist bekanntlich die Paarungszeit.

Das graue Duo am Wiesenrand.

Hier sieht man den linken Wolf etwas besser, aber ehe die Kameraautomatik sich endlich fokussiert hatte, war er bereits verschwunden.

Sein Kumpel, ein Rüde, war wie man sieht neugieriger...

...und entschloss sich erst nach einer ganzen Weile, abzuziehen...

...jedoch ohne Hektik.

Genau in dem Moment tauchte auch der vorher Geflüchtete plötzlich wieder auf und folgte, sichtbar eiliger, seinem Gefähren.

Möglicherweise wandten sich die Beiden sofort nach rechts, so dass sie vor uns zur nächsten Wiese gelangten,
wo der Bracco ihre frische Fährte aufnahm.

Betrachtet man die Bilder dieser Wölfe und vergleicht sie mit jenen der Wölfin von 2014 bekommt man freilich Zweifel an der Reinblütigkeit der Fähe von damals. Die Ohren sind erheblich größer und länger und auch der Körperbau ist anders, selbst wenn man die Geschlechterdifferenz und die unterschiedlichen Jahreszeiten berücksichtigt.

Wenn der Graue aus dem Trio nicht zufällig auch einer der Grauen aus dem Duo war, hatten wir in nur 6 Wochen 5 verschiedene Wölfe angetroffen. Am hellichten Tag. Das Ganze nicht weit vom Dorf entfernt. Und falls das erbeutete Reh in der Heuwiese vor meiner Haustür - zwischen den beiden Wolfssichtungen gefunden - tatsächlich von Wölfen gefressen wurde, dann hätte ich sie, Tageslicht vorausgesetzt, dabei problemlos  von meinem Wohnzimmerfenster aus beobachten und filmen können. 

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Alle Fotos (c) Sabine Middelhaufe
Text (c) Mai 2018

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