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Erfahrungen mit dem


Petit Bleu de Gascogne (1)

 

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Wilma, ein Petit Bleu de Gascogne
Von Susanne Mischke

Einen was haben Sie? Dies ist die normale Reaktion, wenn ich nach der Rasse meiner Hündin Wilma gefragt werde. Sie ist ein Petit Bleu die Gascogne, wiederhole ich dann, und die Leute nicken wissend, um den Ausdruck im nächsten Moment zu vergessen. Zugegeben, ehe ich Wilma hatte, wusste ich auch nichts von der Existenz dieser Hunderasse.
Zu Wilma kam ich durch ein bisschen zielloses Stöbern im Internet. Zu der Zeit hatte mein damals zweijähriger Korthals Griffon-Rüde gerade seine Spielfreundin, eine sehr rabiate junge Malinois-Schäferhündin, wegen Umzugs verloren, und irgendwie tat mir mein verlassener „Einzelhund“ leid. Ihm fehlte die strenge weibliche Pfote, er langweilte sich. (Zumindest habe ich ihm das unterstellt.)
Dann sah ich das Foto von Wilma. Was für ein bildschöner Hund! Schlanke, elegante Gestalt, ewig lange Schlappohren, riesige Vorderpfoten, das Fell schwarz, braun mit Blauschimmel-Flecken – ein Hund wie von einem alten Gemälde. Noch nie hatte ich so einen Hund gesehen. Ich begann, mich ein wenig über die Rassegruppe schlau zu machen:
Es gibt mehrere Arten davon, den Grand Bleu de Gascogne, die sind etwa Settergroß, und den Petit Bleu de Gascogne, bis zu 56 cm hoch. Sie sind sehr kurz- und glatthaarig; es gibt aber auch eine rauhaarige Unterart. Die Grand Bleu de Gascogne waren die Jagdhunde des französischen Hochadels und starben mit der Revolution fast aus. (Man kann nur hoffen, dass sie nicht auch auf der Guillotine gelandet sind.)
Wilma – sie hieß damals noch „Ischtar“ befand sich in „Animals Hope“, einem privat geführten Tierheim irgendwo im Oldenburger Güllegürtel, also nicht allzu weit weg von Hannover. Sie war eineinhalb Jahre alt und kastriert. Schon am nächsten Wochenende fuhren wir hin. Mein Mann und ich standen auf einer riesigen Freilauffläche herum, auf der einige Hunde herumtollten. Bruno nahm erste Kontakte zur anwesenden Weiblichkeit auf, mein Mann hatte die Videokamera dabei. Auf einmal raste ein schwarzbrauner Blitz heran, sprang dem Gatten ins Kreuz, schnappte sich die Kamera und stob mit der Beute davon.

"Das Tier kann man gebrauchen" war mein erster Gedanke. Kaum hatte man ihr die Kamera abgenommen, zeigte sie sich von der anschmiegsamen Seite. Offenbar wusste sie genau, bei wem sie sich einzuschmeicheln hatte, denn während ich noch etwas schockiert war vom überschäumenden Temperament des Hundes und Bruno sich um andere Bewohnerinnen des Tierheims bemühte, ließ sich Wilma von meinem Mann hätscheln und tätscheln.
Wilma sollte uns acht Tage später gebracht werden – die Leute von Animals Hope wollen immer sehen, wohin so ein Tier kommt, was ich vernünftig finde. Ich bat mir einen Tag Bedenkzeit aus. Würden wir wirklich mit diesem wilden Wesen, das außer „Sitz“ nichts gelernt zu haben schien, zurechtkommen?
Aber am nächsten Tag rief ich im Tierheim an, dass wir „Ischtar“ nehmen würden. Als ihre Ankunft bevorstand, räumte ich alles was zerbrechlich und nicht
niet- und nagelfest war, beiseite. Denn ich hatte ja bei „Animals Hope“ beobachten dürfen, wie das lebhafte Tier einem Schimpansen gleich über Tische und Bänke ging und auf der Sofalehne balancierte.
Nach ihrer Ankunft eroberte sie denn auch als erstes das Gelände. Bruno, der sie begeistert begrüßte, wurde innerhalb weniger Minuten klar gemacht, wie er sich ihr gegenüber zu verhalten hat: Anspringen, Aufreiten, sonstige Dominanzgesten – ist nicht! Aber das war er ja gewohnt. Mit meiner damals zwölfjährigen Mischlingshündin Julie verband Wilma sofort eine respektvolle Abneigung. Sie akzeptierte Julies Bedürfnis nach Abstand, die beiden gingen sich meist aus dem Weg, nur hin und wieder gab es Zoff wegen Fressen, dann musste ich schon mal zu Julies Schutz eingreifen.

Wilma und Bruno

Im Haus benahm sich Wilma wie eine Königin im Exil. Kein Wunder, dass Könige diese Rasse bevorzugten – und ich schwöre, sie weiß das! Für mich bitte nur die weichsten Kissen, die schönsten Plätze, das beste Fressen. Am allerbesten das, was Menschen auf Tischen und Schränken liegen lassen. Das ist noch heute so, man kann es nicht beschönigen: Das Tier klaut wie ein Rabe.
Und wehe dem, Bruno verletzt die Lufthoheit über ihrem Korb! Und „ihr Korb“ ist stets der, den Madame gerade auserwählt hat – es können gar nicht genug Kissen und Decken darin liegen. Darin räkelt sie sich dann auf höchst grazile Weise, lässt gerne mal ihre Riesenpfoten lässig über den Rand hängen, oder ein Ohr. Dieser Hund kann den Hals verbiegen wie ein Schwan, was zu grotesk anmutenden Schlafhaltungen führt. Manchmal sieht man ihr richtig an, wie entspannt und wohlig ihr ist, eine solche Ausstrahlung habe ich bisher nur an Katzen beobachtet.
Auch auf dem Autorücksitz ist Bruno nur geduldet.
Anders draußen, da ist er der „Chef“. Katzen oder Hasen jagen – Bruno vor. Unbekannte, bedrohliche Objekte auf dem Weg – bitte nach Bruno.
Übrigens hatte sie innerhalb eines halben Tages begriffen, was bei uns im Haus erlaubt ist, und was nicht. Sie ist intelligent genug, um Verbotenes schnell zu begreifen. Mit der Akzeptanz ist das eine andere Sache …
Wilma war und ist neben ihrer Dominanz wahnsinnig verschmust. Sie fordert hartnäckig Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten ein – und weil sie ja so hübsch ist und ihr Fell sich anfühlt wie schiere Seide, bekommt sie sie auch von fast jedem. Dass das ihre Meinung, sie sei hier die Prinzessin, noch verstärkt, brauche ich nicht zu erwähnen.
Über die Vergangenheit unserer „Marquise“ weiß ich nichts. Sie wurde in Ungarn aufgegriffen, war wohl bereits kastriert, und kam über eine Hilfsorganisation in das deutsche Tierheim. Ich vermute mal, sie hat mit Menschen keine allzu schlechten Erfahrungen gemacht, weil sie sich jedem vertrauensvoll nähert. Allerdings bekommt sie sehr schnell Angst, wenn man die Stimme erhebt oder eine Drohgebärde ausführt.
Die Petit Bleu de Gascogne gehören zu den jagenden Hunden. Anfangs konnte man Wilma kaum von der Leine lassen. Ein Vogel am Horizont, weg war sie, und dann immer der Nase nach. Sie einzufangen ist schier unmöglich, sie ist schnell und wendig, und mit Geschrei macht man ihr nur Angst und veranlasst sie erst Recht zur Flucht. Dummerweise kam sie im Mai zu uns, als das Korn schon hoch stand. Mit Schaudern erinnere ich mich an unsere Jagden: Hund jagt Vogel – Mensch jagt Hund im Kornfeld. "Wiiilmaaa…!!"
Aber einen Hund immer nur an der Leine zu halten, ist nicht mein Ding.
Also wurde abgewartet, bis das Korn gemäht war und sich Wilma einigermaßen eingewöhnt hatte. Bei so viel Wechsel im Leben musste man ihr etwas Zeit lassen, um zu begreifen, dass wir jetzt ihr Rudel sind.
Dann buchte ich Stunden bei einer Hundetrainerin. Von diesen Hundeschulen, bei denen vorzugsweise im Kreis herum gelaufen wird, halte ich wenig. Lieber ein paar gezielte Einzelstunden, - Welpenspielstunden natürlich ausgenommen - das bringt viel mehr; aber dies ist nur meine persönliche Erfahrung.
Die Hundetrainerin kam mit uns auf einen Spaziergang, und Wilma war der bravste, folgsamste, aufmerksamste Hund, den man sich denken kann. Hörte auf das leiseste Wort, entfernte sich kaum mehr als dreißig Meter; fast schien sie es darauf anzulegen, mich zu blamieren – seht nur, die wird mit einem soooo braven Hund wie ich es bin nicht fertig!

Wie schon bei Bruno gelange es mit der Zeit, Wilmas Jagdtrieb auf eine „Ersatzbeute“ zu lenken: Quietschende Gummitiere aus Latex, die ich stets in der Tasche habe und ab und zu werfe und apportieren lasse. Ihr Quietschen erinnert tatsächlich an das typische letzte Lebenszeichen einer Maus. Mäuse, Maulwürfe und Wühlmäuse werden natürlich davon abgesehen immer noch gerne gekillt, und ich werde nie vergessen, wie Wilma eines Tages mit einem großen Feldhamster im Fang ankam; der Hamster hatte ihr noch im Todeskampf das Ohr gelöchert, aber das war egal, sie war ja so stolz!

Inzwischen hat sich alles gut eingespielt. Wilma hat noch immer einen Dickkopf, aber sie hört so, dass ich sie in Feld und Flur frei laufen lassen kann. Ihr Jagdtrieb hat sich auf Mäuseausbuddeln (leider auch im Garten) und Vögel aus den Büschen scheuchen spezialisiert. Hasen stöbert sie auf, aber sie verfolgt sie nicht, denn wenn die Feldhasen sich aufrichten – was sie seltsamerweise nur bei Wilma tun, niemals bei Bruno –, sind sie größer als Wilma und machen ihr Angst. Rehe sind nur Thema in der Meute, wenn alle jagen, dann rennt sie natürlich mit, aber solche Situationen hat man ja zum Glück kaum. Mit meinen beiden kann ich getrost draußen herumlaufen, sie hören auch auf größere Entfern-ungen. Bruno sowieso, der kommt sofort zurück – Wilma bleibt zumindest gnädig stehen, wendet den Kopf und schaut mich an, als wolle sie sagen. "Was ist denn jetzt schon wieder, siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?" Ein paar Leckerlis in der Tasche unterstützen den Gehorsam ungemein, aber bitte nur ausgesuchte Bissen!

Im Haus ist sie ruhig und unproblematisch, von gelegentlichen Temperamentsausbrüchen vor dem Gas-sigehen mal abgesehen. (Dann kann man Kleidung und Schuhe weiß Gott wo wieder einsammeln gehen.) Auf Reisen ist sie unproblematisch, sie hat gelernt, sich mit dem Gebotenen rasch zu arrangieren und während Bruno noch herumnölt, ist sie schon dabei, ihren Vorteil aus der veränderten Situation zu ziehen. Sie bellt kaum, was sie auch für Hotelaufenthalte prädestiniert.
Wem ist ein solcher Hund zu empfehlen? Auf keinem Fall einem Anfänger! Man braucht Konsequenz im Umgang mit diesem Hund, sonst übernimmt er das Ruder, was bekanntlich nie gut ausgeht.
Auch ist diese Rasse kein Familienhund, schon gar nicht zusammen mit kleinen Kindern! Die Nachbarskinder sind „fliehende Beute“ und werden schon mal gejagt. In unserer Familie bin ich die einzige, auf die Wilma wirklich hört. Mann und Sohn (1,90 groß!) werden schon mal angeknurrt, wenn Madame sich durch sie irgendwie gestört fühlt oder ein Beutestück in ihrem Korb versteckt hat, was ja keiner ahnen kann. Nur bei mir wagt sie das nicht, da reicht ein scharfes Wort.
Am besten ist dieser Hund für jemanden, der mit Jagdhunden Erfahrung hat. Jemand, der dem Hund möglichst viel Freiheit und Auslauf gewähren will und kann, der sich an seinem Laufen im Feld erfreut und der keinen „Kadavergehorsam“ erwartet. Diese Hunde sind starke, stolze Persönlichkeiten, es würde sie verbiegen, wenn man sie zu sehr unterbutterte. Ihr Wesen hat ein bisschen was von einer Katze: Schönheit gepaart mit Killerinstinkt und Anschmiegsamkeit. Ein toller Hund, ich jedenfalls habe es noch nie bereut, Ihro Gnaden Asyl gewähren zu dürfen.

Alle Fotos: Susanne Mischke

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