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Bracco Italiano Chicca

 

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Chicca
Von Sabine Middelhaufe

Neulich spazierte ein Herr mit einer Bracco Hündin an meiner Haustür vorbei und höchst entzückt rannte ich nach draussen und gesellte ich mich samt meinem Bracco Rüden zu den Beiden.
Während der gemeinsamen Runde über die Heuwiesen vorm Haus bewunderte ich den atemberaubenden Trab von Chicca, die durchs kniehohe Gras schwebte, wie sich das für einen Bracco Italiano gehört und traute meinen Ohren nicht, als der Besitzer erzählte, dass die Hündin demnächst 14 wird...
14 ?? Doch, doch, meinte er zuversichtlich, sie ist 1998 geboren und leider schon ziemlich taub, aber rennen kann sie noch wunderbar.
Wie sich herausstellte waren Herr und Hündin Freunde meiner benachbarten Freunde, und als er so nebenbei bemerkte, dass es für Chicca sicher herrlich wäre, in einer Gegend wie unserer "Urlaub" machen zu können (zumal er für zwei Wochen ins Ausland reisen müsste und der übliche dog sitter gerade selbst in den Ferien sei) rief ich aufgeregt: "Ich! Ich!", noch ehe er richtig zuende gesprochen hatte. Ich meine, wer will schon die Chance verpassen, eine wunderschöne, elegant trabende und offenbar sehr liebe alte Bracco Dame zu beherbergen??
So war's denn abgemacht, und am nächsten Tag reiste Chiccas Besitzer erleichtert ins Ausland.
Aus der besagten gemeinsamen Runde auf der Wiese hatte ich gefolgert, dass Chicca keine Probleme haben würde, eine halbe Stunde action durchzuhalten, selbst in der gegenwärtig herrschenden Sommerhitze, und mehr wollte ich ihr ja auch gar nicht zumuten. Deshalb fuhr ich mit ihr und Julian in weiser Voraussicht 200 m tiefer, wo sich viele kleine Wiesen aneinanderreihen, ein Bach zum trinken vorhanden ist und viele schattige Plätzchen am Waldrand, wo die alte Dame sich in meiner Gesellschaft ausruhen könnte.


Chicca sucht die Wiesen nach Vögeln ab.
Ihr Trab ist typisch für die Rasse, aber spektakulär für einen Hund von fast 14 Jahren!

Erste vage Zweifel an meiner wunderbaren Theorie kamen mir, als Chicca nach einer Dreiviertelstunde, die sie ohne zu zögern damit füllte, zügig und elegant die Wiesen abzusuchen und in Gebüsche zu entschwinden, wo sie zweifellos interessante Witterung wahrgenommen hatte, den Anschein erweckte, sich gerade erst so richtig schön warm gelaufen zu haben. (Übrigens: bei uns darf man das; Hunde müssen nicht an der Leine bleiben.)
Ausserdem wurde mir nun auch die Schwierigkeit bewusst, einen Hund abzurufen, der nichts hört, denn selbst auf schrille Pfiffe aus der Hundepfeife einen knappen Meter hinter ihr und heftiges Händeklatschen reagierte sie überhaupt nicht. Also wohl nicht nur "ziemlich" sonst völlig taub... Dummerweise ist einem Hund vermutlich nicht klar, dass das Fehlen von Rückpfiffen nur daran liegt, dass er sie nicht mehr hört, und nicht, dass niemand ihn zurück beordert.
Um Chiccas energisches Vorwärtsstreben zu bremsen gab es folglich nur ein Mittel: abzuwarten, bis sie mal Blickkontakt aufnahm und dann frenetisch zu winken.

Nachdem ein solches Manöver einmal die gewünschte Wirkung erzielte, setzte ich mich in den Schatten, Julian willig genug daneben und erwartete, dass Chicca die Sachlage verstünde.
Na ja, vielleicht hat sie sie durchaus verstanden, nur hielt sie es offenbar für einen schlechten Scherz. An einem schönen Sommertag auf einer verlockenden Wiese die Suche zu unterbrechen, um sich auszuruhen? Wohl kaum! Sie liess uns im Schatten hocken und trabte mühelos wie zuvor dem Horizont entgegen.

Ich komm ja schon!
Im Schatten ausruhen? Man beliebt zu scherzen?!

Eine weitere Dreiviertelstunde später zumindest mal im Bach zu trinken fand sie ganz vernünftig, aber dies getan, hatte sie noch dringende Untersuchungen im naheliegenden Wäldchen vorzunehmen.
Als wir schliesslich wieder am Auto ankamen, machte Chicca ganz den Eindruck, einen wirklich netten, stimulierenden Vormittag verbracht zu haben, während mir ernsthaft das Gewissen schlug - wie würde diese alte Hündin so viel Anstrengung an einem Stück verkraften? Durchschlafen, bis ihr Besitzer sie in zwei Wochen wieder abholte? Jämmerlich zu hinken anfangen? Zusammenklappen?
Nachmittags um fünf war es für Julian Zeit für seine übliche Waldrunde, und ich überlegte schon, ob ich Chicca vorher kurz zum pischern raus bringen und dann allein zuhause lassen sollte.
Menschen können ja so beschränkt sein...
Chicca ist zwar taub, aber als sie Bewegung um sich her spürte, wachte sie augenblicklich auf, sprang, und ich meine wirklich sprang auf die Läufe, hüpfte fiepend und wedelnd um uns herum und liess keinen Zweifel aufkommen, dass sie bereit zu neuen Taten war. Okay, dachte ich, nehmen wir sie mit, denn der Wald ist hinterm Haus und wenn sie schlapp macht kehren wir einfach wieder um.
Den Wald fand Chicca grandios. Kaum waren wir drin, eilte sie zielstrebig von dannen und tauchte ins nächste Dickicht ab. Was mir das nächste Problem vor Augen führte: auf einer weiten Wiese kann man dem tauben Hund Sichtzeichen geben (so er denn mal in die richtige Richtung schaut), im dichten Wald oder erst recht Gebüsch sind die Chancen hingegen Null. Kommt hinzu, dass man einen Hund auch recht bald nicht mehr durchs Unterholz tappen hört und ergo nicht den blassesten Schimmer hat, wo er sich nun wohl befindet.

Nett, so ein Wald. Es kriegt auch nicht jeder mit, wohin man sich absetzt...
Und was man da alles untersuchen kann!

Beim ersten Waldgang schwitzte ich literweise Angstschweiss und wünschte, ich hätte das wunderbare Buch über Border Collies das ich besitze aufmerksamer gelesen, oder besser noch, ich besässe einen Border Collie, der gar zu unternehmungslustige Braccos zurückbringt... So hingegen musste ich Chicca selbst folgen, es schaffen, ihr nach 10, 15 Minuten endlich den Weg abzuschneiden und sie mit Handzeichen in die Richtung dirigieren, in die ich eigentlich gern gehen wollte. In einem verwilderten, meist recht steilen Bergwald wie unserem ist das nicht einfach, muss ich sagen, speziell, wenn der Hund kein Dornengebüsch auslässt und so viel Spass hat, dass er eh nicht merkt, dass er "verfolgt" wird. Ganz abgesehen von der Kleinigkeit, dass Julian und ich für Chicca zunächst ohnehin keine besondere Bedeutung hatten.
Jedenfalls war ich nach wieder mal zwei Stunden ziemlich froh, die Dame sicher an der Leine nachhause geleiten zu können. Sie schlief denn auch selig und stand am nächsten Morgen frisch und fiepend bereit für die Wiesenrunde.
Offenbar begannen die gemeinsamen Ausgänge nun auch eine gewisse Beziehung zwischen uns zu schaffen, denn sie orientierte sich an diesem zweiten Tag schon ein bisschen an Julian und mir und kam recht willig, wenn ich winkte. Abends im Wald wurde das noch deutlicher: einmal den Büschen entwichen suchte sie jetzt eindeutig nach mir.
Leider war meine Freude ob dieses raschen Wandels sehr kurzlebig, denn mir fiel auf, dass sie, sofern ich auf ihrer rechten Seite stand, oft einfach an mir vorbei rannte, hier und dort suchte und erst wenn sie mich vor sich hatte, plötzlich beglückt wedelnd angerannt kam. Auch schreckte sie immer furchtbar zusammen, wenn ich sie von rechts kommend streichelte.
Ich bin kein Tierarzt und ihr Besitzer hatte nichts dergleichen erwähnt, aber ich befürchte, dass sie auf dem rechten Auge nur sehr beschränkt oder gar nicht mehr sieht, denn tatsächlich reagierte sie bei einigen simplen Versuchen überhaupt nicht auf Bewegungen in ihrem rechten Gesichtsfeld.... was mein Bestreben, sie im Wald ein bisschen zu lenken nicht unbedingt einfacher machte. Ganz zu schweigen von den Problemen und Gefahren, die das für sie selbst bedeuten muss.

Bereit für die nächste Runde.
Und schon ein bisschen mehr an uns orientiert.

Wenn Bindung entsteht, kann das unter misslichen Umständen auch seine Nachteile haben: am dritten Morgen aus den Heuwiesen heimgekehrt, stiegen Julian und ich wie üblich die steile, offene Wendeltreppe in die Wohnung hoch und liessen Chicca im Flur, wo ihr Luxusbett, Wasser und Futter stehen. Kaum war ich oben, setzte unten verhaltenes Jammern ein. Nach einer Viertelstunde pausenlosen Lamentierens wurde das Klagen lauter.
Einem Hund, der hört, kann man zurufen: "Alles okay, geh brav auf deinen Platz!". Einem tauben Hund nützt das herzlich wenig. Also stieg ich hinab. Luftsprünge und freudiges Wedeln. Ich erklärte Chicca (ganz nutzloserweise), dass sie wie sonst auch ihr flauschiges Bett beziehen möge und begann den Treppenaufstieg. Natürlich setzte das Fiepen und Jammern sofort wieder ein. Wohlgemerkt, ich hätte Chicca nur zu gern nach oben geholt, und da sie die ersten Stufen in ihrer Verzweiflung sogar erklomm sie wahrscheinlich mit viel Geduld bis in den ersten Stock bekommen. Aber das Problem mit Treppen ist bekanntlich nicht das Hinauf, sondern das wieder Hinunter, und vor meiner elendig engen, steilen Kunststoffwendeltreppe hat schon so mancher jüngere, kleinere Hund entsetzt kapituliert.
Nach einer Stunde des Winselns und ihrer nicht ganz ungefährlichen Versuche, allein hoch zu kommen, trug ich Chicca nach oben. Und als die Stunde der Abendrunde schlug auch wieder nach unten. Dass wir uns dabei nicht beide den Hals brachen ist ein Wunder.
Später im Wald kam mir dann allerdings eine Erleuchtung: wenn Chicca sich nun tatsächlich schon ein bisschen zugehörig fühlte, müsste sie doch eigentlich auch willig und clever genug sein, mich im Wald selbst wiederzufinden, ohne dass ich wie ein Border Collie hinter ihr her hetzen müsste...?

Wer suchet...
der findet!

Beim ersten zaghaften Versuch setzte ich mich einfach in der Nähe der Stelle, wo sie auf Entdeckungstour abgezweigt war auf einen Baumstumpf und wartete. Da sie mittlerweile ein Laufhundglöckchen trug, konnte ich für eine Weile ihre Bewegungen im Dickicht verfolgen und stellte ausserdem fest, dass ihr Aktionsradius im bedeckten Terrain erheblich grösser war als auf den offenen Wiesen. Irgendwann verstummte das Glöckchen. Schweigen im Walde. Einige Minuten später tauchte es dünn und fern wieder auf, kam näher, schwenkte ein bisschen nach hier und dort und dann bog es in den schmalen Waldweg ein, ich winkte und Chicca kam mit wehender Zunge angerannt. Wer von uns beiden erleichterter war, weiss ich nicht.
Am nächsten Tag in Wiesen und Wald wiederholt, bestätigte sich, dass Chicca von ihren eiligen Abstechern in eigener Sache durchaus zu mir zurück fand, selbst wenn ich derweil mit Julian in unsere zuvor gemeinsam eingeschlagene Generalrichtung weiter ging. Wie solche Erkenntnisse doch die Lebensqualität des Hundehalters heben...!
Von nun an durfte Chicca zwischendurch also getrost ihre minutenlangen Solos geniessen und ich konnte (zumindest halbwegs) beruhigt sein. Dies auch in Bezug auf ihr tägliches Laufpensum. Da sie nie den Eindruck erweckte, wirklich erschöpft zu sein, bei jedem neuen Ausgang mit der gleichen Begeisterung und scheinbar unerschöpflichen Energie los stob, bat ich ihr zwar immer mal ein Päuschen an, stiess damit aber auf keine Zustimmung. Traben und suchen, ihre grosse Nase in die Büsche stecken und interessante Düfte zu verfolgen machte ihr eindeutug so viel Freude, dass ich sie machen liess.

Keine Zeit für Pausen...
Portraits gelangen nur direkt nach dem Ableinen.

Am Ende fand sich sogar eine Lösung für das Trennungsproblem.
Nicht willig, noch mal einen Treppensturz zu riskieren, bugsierte ich sie nach dem Fressen, begleitet von einem Zeichen, auf ihr Bett, hockte mich neben sie, streichelte sie ausgiebig und gab ihr noch ein paar Extrahäppchen aus der Hand. Am ersten Tag gab's zwar eine Menge treppauf und treppab nebst Handzeichenwiederholung, um ihr klarzumachen, dass ihr Platz nun mal unten war, aber dann begriff sie, und nach reichlich Streicheleinheiten als Nachtisch schlief sie schon am nächsten Tag einfach zufrieden ein. Turnte sie zwischen den Ausgehzeiten doch mal jankend auf den untersten Stufen herum, reichte wunderbarerweise das Handzeichen und sie trollte sich wieder.
Nun ist ihr "Urlaub" bei uns um, und ich hoffe, sie hat ihn ebenso genossen wie ich.
Einen Hund erleben zu können, der trotz seines hohen Alters und nicht unerheblicher Handicaps noch so viel Elan, Lebensfreude und Enthusiasmus für seinen Beruf besitzt, ist wirklich beglückend und ich wünsche Chicca, dass sie noch etliche Geburtstage feiern kann. Und, natürlich, wenn sie mal wieder Ferien machen möchte kennt sie ja unsere Adresse.

Fotos: Sabine Middelhaufe
Text (c) 2015

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